Ausrede 27: „Wir sind zu viele“

Ich hielt kürzlich bei einer Veranstaltung eines Holzinnovationszentrums einen Vortrag zu Nachhaltigkeit und um mein Buch „Die Kunst der Ausrede“ vorzustellen. Das Publikum in der ländlich geprägten Gemeinde war bunt gemischt, Schüler*innen, Unternehmer*innen, Pensionist*innen, Gemeindepolitik. Die Diskussionen während meines Vortrags und im Anschluss waren angeregt und größtenteils konstruktiv, aber auch der eine oder andere Nörgler hat sich zu Wort gemeldet.

Einer von ihnen war ein Herr Mitte 60. Er steuerte einen längeren Kommentar bei, mit der Essenz: Wir sind zu viele Menschen. Nur Kriege, Seuchen und Hungersnöte würden die Bevölkerungszahlen reduzieren, und weil wir so viele wären, sei alles ohnehin hoffnungslos.

Ich habe diese Argumentation öfters gehört und es ist vielleicht auch ein Narrativ, das in sozialen Medien stark präsent ist. Zwei wesentliche Dinge werden dabei übersehen:

  1. Bevölkerungswachstum findet v.a. in sehr armen Weltregionen statt – in Ländern der Sub-Sahara und in Afghanistan. Das ist ohne Zweifel ein Problem, in Punkto Klimaschutz aber nicht das drängendste:  Die Menschen in diesen Regionen fahren nicht viel Auto, essen wenig Fleisch, konsumieren kaum und fliegen schon gar nicht in den Urlaub. Ein Mensch in Deutschland emittiert so viel wie ca. 20 Menschen in Kenia, oder über 100 Menschen in Somalia. Der Klimawandel wird also in erster Linie durch die Lebensstile in westlichen Industrienationen (und in aufsteigenden Volkswirtschaften wie China) verursacht. Hier sinken die Geburtenraten seit langem und liegen deutlich unter zwei Kindern pro Frau.
  2. Es gibt neben Kriegen, Seuchen und Hungersnöten einen weit nachhaltigeren Mechanismus zur Eindämmung von Bevölkerungswachstum: Bildung, vor allem Bildung für Mädchen und Frauen. Wenn Mädchen Zugang zu Bildung bekommen und Frauen selbst die Entscheidungen treffen, dann bekommen sie weit weniger Kinder. Verbesserung der Bildungsmöglichkeiten führen zu sinkenden Geburtenraten. In patriarchalischen Gesellschaften mit wenig Frauenrechten hingegen gibt es hohe Geburtenraten.

Wenn ich die Wahl zwischen Hungersnöten, Seuchen, Kriegen und Bildung und Chancengleichheit für Frauen habe, ist zumindest für mich die Entscheidung sehr klar.

Das Narrativ „Wir sind zu viele“ ist aber auch aus psychologischer Sicht durchaus interessant. Es fällt unter das kognitive Schema des Klimafatalismus, mit der Conclusio: „Wir können ohnehin nichts tun.“ In Studien zeigt sich, dass gefühlte Machtlosigkeit oder fehlende Selbstwirksamkeit mangelnde Klimafreundlichkeit gut erklären.

Das Schwelgen in der eigenen Ohnmacht ist im Grunde nur eine weitere Ausprägung des inneren Klimaschweinehundes: Wir können nichts machen, also müssen wir auch nichts machen. Also weiter wie bisher, und bloß keine kognitiven Anstrengungen unternehmen, eigene und gesellschaftliche Praktiken zu hinterfragen. In Bezug auf die Klimakrise ist das Verfallen in Fatalismus zwar eine aus psychologischer Sicht nachvollziehbare Bewältigungsstrategie, es ist aber keine konstruktive.

Ich habe aber nicht den Eindruck, dass Klimafatalismus eine Mehrheitseinstellung ist, und auch bei besagter Veranstaltung kam dieser Eindruck nicht auf. Kennengelernt habe ich dort v.a. besorgte Menschen, die etwas für den Klimaschutz tun möchten, motivierte Menschen, die im Kleinen an Klimaschutzlösungen arbeiten und einen engagierten Bürgermeister, der mit seinem positiven Zugang die Fähigkeit hat, die Menschen mitzureißen und willens ist, die Möglichkeiten und Potentiale in seiner Gemeinde wahrzunehmen.

Solche Menschen brauchen wir. Klimafatalismus ist hingegen Gift. Schluss damit.

Quellen:

Earth4 All (Oekom, 2022)

https://ourworldindata.org/grapher/co-emissions-per-capita

https://ourworldindata.org/fertility-rate

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