Wow. Plötzlich wird so vieles klar. Aber von vorne.
„Wenn niemand sonst mit euch spricht, dann muss ich es eben tun. Meiner Ansicht nach besteht das Problem darin, dass ihr es wisst und doch nicht wisst. Man hat euch etwas gesagt, aber keiner von euch versteht es wirklich, und ich wage zu behaupten, dass manche Leute es nur zu gerne dabei belassen würden. Ich nicht. Wenn ihr ein einigermaßen anständiges Leben führen wollt, müsst ihr Bescheid wissen – wirklich Bescheid wissen.“
Diese Sätze sind mir im Sommer begegnet und haben mich nicht losgelassen. Einfach weil sie so gut unser Klimakatastrophen-Dilemma beschreiben, ohne dass es vermutlich vom Autor beabsichtigt war.
Im brutalen Roman „Never let me go” von Kazuo Ishiguro geht es nicht um Klimawandel [Spoilerwarnung ab hier!]. Es geht um das Schicksal von menschlichen Klonen, die ausschließlich zum Zweck des Organspendens herangezüchtet werden. Sie werden als junge Erwachsene lebendig „ausgeweidet“ und sterben spätestens nach ihrer dritten „Spende“. Davor genießen die Protagonist*innen des Buchs eine einigermaßen normale Schulzeit in einem behüteten Heim. Sie träumen von einem Leben als Popstars oder von der Reise nach Amerika, wie normale Jugendliche.
Sie wissen, was auf sie bald zukommt, aber irgendwie wissen sie es eben nicht. Miss Lucy, eine der Betreuerinnen im Heim für jugendliche Klone, hält die träumerische Realitätsverweigerung irgendwann nicht mehr aus, die eingangs genannten Sätze platzen aus ihr. Die jugendlichen Klone können freilich nicht viel anfangen mit ihrem Ausbruch.
Ihr wisst es, und ihr wisst es doch nicht. Ein Satz, der mir als Klimakommunikator aus der Seele spricht. An den ich jedes Mal denke, wenn wieder ein Politiker vom Autoland spricht, wenn wieder jemand von der x-ten Flugreise schwärmt, wenn Interessensvertretungen heimisches Öl und Gas propagieren, oder wenn Klimaleugner und Verharmloser weltweit politischen Einfluss gewinnen.
Ihr wisst, was ihr hier anrichtet. Aber begreifen wollt oder könnt ihr es nicht. Euer Selbstschutz funktioniert, wie bei den Klonen im Roman. Wie bei den Klonen wiegen die Alltagssorgen und Alltagsträume schwerer als die brutale Realität, die lange abstrakt bleibt.
Kazuo Ishiguro ist mit „Never let me go“ eine brillante Studie des menschlichen Geists gelungen. Zu hoffen bleibt, dass es für uns besser ausgeht als für seine Protagonistinnen.